Das Interview

Von Tanja Spielmann


«Ich freue mich sehr, Sie heute bei uns in der Show begrüssen zu dürfen!»
«Guten Abend.»
«Es ist uns eine Ehre, hier mit Ihnen ein Interview führen zu können. Normalerweise vermeiden Sie jeglichen Kontakt zu den Medien. Darf ich fragen, wieso Sie Stellungnahmen zu ihren Texten fast gänzlich ablehnen?»
«Ich denke, meine Texte sprechen für sich.»
«Da haben Sie sicherlich Recht. Ihre Texte sind sehr gesellschaftskritisch und haben meistens eine nicht direkt ausgesprochene, jedoch sehr leicht verständliche Botschaft in sich. Sie möchten die Menschen auf die Umweltverschmutzung und ihre Risiken aufmerksam machen. Habe ich das richtig verstanden?»
«Ich arbeite viel mit Klimaforschern zusammen und kenne die neusten Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zum Prozess des Klimawandels. Es ist mir ein Anliegen, aufzuklären und ein Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen. Aber es geht nicht nur darum. Ich möchte gerade die Menschen in den industrialisierten Ländern zu einer anderen Sichtweise bewegen. Unsere Gesellschaft hat wahnsinnig oberflächliche Ziele. Gerade das Aussehen, oder auch der Lohn und Luxusgüter haben erste Priorität.»
«Das klingt wahnsinnig spannend. Was ich Sie noch fragen wollte…»
«Das ist natürlich spannend, es ist jedoch ein sehr ernstes Thema. Unser Konsumverhalten nimmt immer extremere Formen an. Die Schönheitsindustrie boomt, oft leasen bereits sehr junge Leute Autos oder andere Wertsachen und versinken später im Schuldensumpf. Viele Jugendliche haben das Mass verloren. Am Wochenende wird gefeiert und sehr viel Geld für Alkohol ausgegeben. Oftmals ist das Geld nicht einmal das eigene. Unter der Woche wird gearbeitet, die Abende werden vor dem Fernseher oder im Fitnesscenter verbracht. Es ist, als gäbe es nur noch die Extreme. Dies zeigt sich auch bei der Ernährung. Entweder Fastfood oder Proteinshake. Verstehen Sie, die Natürlichkeit ist verloren gegangen. Ich sehne mich nach Menschen mit Prinzipien und Charakter. Nach strebsamen Jungen, die Ziele im Leben haben und auf der Suche nach wahren Freundschaften sind. Menschen, die Leidenschaften haben und sich auf innere Werte besinnen. Die Menschheit sollte zurück zur Natur.»
«Das klingt nach grossen Plänen. Nun ja, ich möchte bei dieser Gelegenheit noch ein etwas – anderes Thema ansprechen.»
«Ein anderes Thema?»
«Ich muss ja immer auch an unsere Hörer denken.»
«Gewiss.»
«Also, nicht dass Sie denken, das Thema sei –»
«Aber nein, natürlich nicht.»
«Nun, was ich fragen wollte – etwas Persönliches.»
«Ich dachte, das wird ein Interview über meine Arbeit.»
«Ja, es gibt da durchaus gewisse Bezüge zu ihrer Arbeit.»
«Dann bin ich aber mal gespannt.»
«Nun, Sie kennen sicher die Gerüchte, die über Sie im Umlauf sind. Man kann schliesslich in allen Klatschheften darüber lesen.»
«Gerüchte? – Ich weiss nicht, was Sie meinen.»
«Nun, es ist so: Es kursieren Gerüchte, die nahelegen, dass Ihre Handlungen Ihren Worten wider-sprechen.»
«Worauf wollen Sie hinaus? Kommen Sie auf den Punkt.»
«Sie predigen Zurück zur Natur und Beruft euch auf eure inneren Werte. Ihre Körbchengrösse aber hat sich, Schönheitschirurgen zu Folge, ganz klar nicht von Natur aus so stark verändert. Wie wollen Sie mit solcher Presse glaubhaft bleiben?»
«Ach, sehen Sie, ich habe besagten Artikel gelesen. War auch nicht weiter schwierig, schliesslich wurde er von unzähligen Klatschheften gedruckt und im Internet veröffentlicht. Ich muss sagen, als ich die Anzahl der Klicks dieses Artikels gesehen habe, war ich doch recht beeindruckt. 4,6 Millionen Menschen scheint es zu interessieren, welche Verwandlung meine Brüste durchgemacht haben. Illustriert von bearbeiteten Bildern. Photoshop.»
«Die Gerüchte sind also falsch?»
«Wissen Sie, ich wusste in dem Moment echt nicht, ob ich lachen oder heulen sollte. Da schreibe ich seit Jahren Texte. Texte, an denen ich stundenlang sitze und die ich mehrfach von Experten auf ihre Richtigkeit prüfen lasse. Ich versuche mit Witz und mit Anekdoten einen guten Text zu schreiben, in einer Sprache, die jeder versteht. WEIL ich etwas verändern will.»
«Ja wir schätzen ihre Arbeit se –»
«Moment! – Ich bin bald vierzig. Ich habe keine Kinder und auch nicht vor, welche zu bekommen. Wenn die Umweltverschmutzung ihre katastrophalen Konsequenzen zeigt, werde ich nicht mehr hier sein. Ich schreibe diese Texte nicht, weil ich meinen eigenen Arsch retten will, sondern weil ich denke, dass es Menschen da draussen gibt, Eltern oder junge Leute, die es interessieren könnte, was hier falsch läuft. Die ein Interesse daran haben, ihr Leben und das Leben ihrer Kinder zu retten. Aber ich scheine mich geirrt zu haben. Ich weiss, ich sollte mich nicht beklagen. Ich habe viele treue Leser, und auch die Texte, welche ich im Internet veröffentliche, haben beinahe eine Million Klicks. Aber wenn ich sehe, dass es die meisten mehr interessiert, was mit meinen scheiss Titten los ist, als das, was ich zu sagen habe, dann könnte ich kotzen. – Ich bin in diese Show gekommen, weil ich wusste, dass Sie auch dazu gehören. Dass es Sie mehr interessiert, was ich zu den Gerüchten zu sagen habe, als das, was ich sonst zu sagen hätte.»
«Nein, Sie verstehen mich falsch.»
«Wissen Sie was, ich werde jetzt gehen. Das ist mir zu blöd hier. Schneiden Sie das alles raus. Las-sen Sies drin. Es ist mir vollkommen egal. Und wenn Sie Ihren Hörern sagen wollen, was mich an meinen Brüsten gestört hat, ob es die Form war oder die Grösse, dann kann ich Ihnen sagen, es war beides nicht. Gestört hat mich der scheiss Tumor, der da drin war. Der hat mich gestört!»