Liebe Mobiliar

Von Charlotte Frey

 

Liebe Mobiliar

Sie haben doch da diese Werbespots. Sie wissen schon: die, welche eine bizarr peinliche Situation darstellen, mit einer auch eher bizarr peinlichen Xylophon-Melodie am Schluss, auf die ein Werbemusikkomponist sicher ganz stolz ist. Was mir nicht aus dem Kopf geht, ist diese attraktive Männerstimme, die nach jedem Spot proklamiert: «Was immer kommt. Wir helfen Ihnen rasch und unkompliziert.». Nun, ich brauche gerade rasch und unkompliziert Ersatz für etwas, das mir sehr am Herzen liegt. Damit Sie meinen Fall richtig einschätzen können, gebe ich Ihnen gern noch ein paar Hintergrundinfos.
Zuerst noch eine Frage: Würden Sie es als Kompliment auffassen, wenn ein Junge Ihnen sagt, dass Sie wie das Haus Ihrer Grossmutter riechen? – Sehen Sie. Ich weiss auch nicht, wie man ein Gespräch mit so einem Satz beginnen kann. Tatsächlich aber hat das so ein Junge auf so einem Fest zu mir gesagt. Bevor Sie nun über Ratschläge zur Drogenprävention oder die effektive Anwendung von Pfefferspray nachdenken, lassen Sie mich das Ganze etwas erläutern.
Ja, er war nicht gerade nüchtern. Nein, er hat mir keine illegalen Substanzen angeboten. Aber hey, ich war nüchtern genug für uns beide, und seien wir ehrlich, manche Typen sind um Einiges charmanter in betrunkenem Zustand. Ich kenne seinen Namen nicht, aber ich begann ihn zu mögen, als er anfing, zu ABBA zu tanzen, als wäre es Trapmusik, und Frank Sinatra als seinen «Bro» bezeichnete. Da es ein Live-Konzert war, gab es immer wieder Pausen zwischendurch, in denen er mir viele Fragen stellte, was mich, eine selbsternannte Bibliophile mit einem Faible für Star Wars, aus der Fassung brachte. Vor allem, da er meine Antworten wirklich interessant fand. Zumindest tat er so. Ich kann nicht leugnen, dass ich es mochte, wie er mir dann von seiner Midlife-Crisis erzählte, die offenbar so heftig gewesen war, dass er sich den Kopf rasiert hatte. Beachten Sie bitte, er war vielleicht neunzehn Jahre alt. Das Witzige war, ich hatte ihn schon vor dieser Begegnung gekannt. Nicht gekannt, aber Sie wissen schon. Instagram und so. Er hingegen konnte mich unmöglich «kennen». Aber egal. Und überhaupt: Einmal darf doch die Streberin mit dem populären Typen tanzen. Sogar Slow Dance.
Nun aber komme ich zum Problem, liebe Mobiliar. Das Problem wurde am Ende des Abends geboren, als «mein Typ» noch weniger nüchtern war, und ich vielleicht auch. Die Live-Musik war zu Ende, und ich schwankte mit ihm, er leicht lallend, von der Tanzfläche. Als ich ihm dann zu verstehen gab, oder es wenigstens versuchte, dass die Zeit für den Abschied gekommen sei, merkte auch er, wir würden uns wahrscheinlich nie wiedersehen. Es war einer dieser Abende, die nicht wiederholt werden konnten, und im Übrigen auch nicht sollten. Als auch er dies bemerkte, unterbrach er meine Abschiedsanekdote und sagte: «Sag mal, kannst du gut küssen?». Verstehen Sie, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Also sagte ich: «Ähhhhhhh nein». Wenn Sie jetzt glauben es hätte etwas an der Sache geändert, dass er mich trotzdem küsste, liegen Sie falsch. Aber bitte glauben Sie, dass ich es eventuell sogar genossen habe. Nur, deswegen schreibe ich Ihnen ja nicht. Sonst gäbe es ja kein Problem, und Sie könnten mir nicht «rasch und unkompliziert» helfen.
Denn, liebe Mobiliar, als ich an diesem Dorffest einen Zungentanz mit einem netten jungen übte, war ich mir leider nicht bewusst, dass an einem Dorffest tatsächlich das ganze Dorf vorhanden ist. Das heisst: Meine Eltern, das blanke Entsetzen in den Augen, standen nur fünf Meter entfernt. Und der kleine Bruder konnte seinen Mund nicht halten. Sein schönes, kraftvolles «wääääääähhh» erschallte über den ganzen Festplatz.
Da nun schon meine Grossmutter, sie ruhe in Frieden, mein Grossvater, der nicht, und sämtliche lebenden Familienteile, mich selbst eingeschlossen, bei Ihnen ihr Leben versichert haben, wäre ich Ihnen enorm verbunden, wenn Sie meiner Wenigkeit den guten Ruf ersetzen könnten.

Besten Dank für die rasche und unkomplizierte Rückerstattung – und freundliche Grüsse.