Und?

Von Sofiya Schweizer


-Weisst du schon, was du nimmst?
-An der Bar?
-Ja.
-Ich fange mit Weisswein an. – Du?
-Weiss noch nicht. Irgendwas zum Vorglühen. – Sag mal, wann warst du eigentlich am Sonntag zu Hause?
-Etwa um acht. Wieso?
-Hattest du was vor? Ich meine, wieso schon so früh?
-Ich wollte einfach nach Hause. – Hast du ein Deo?
-Ja, hier.
-Danke. – Die Party war schon wild. Ich meine, überdurchschnittlich.
-Allerdings. Hast du zufällig einen Lippenstift dabei?
-Dunkelrot. Ruby.
-Egal. Das passt. – Danke. – Gestern hat übrigens Chris nach dir gefragt.
-Chris?
-Er sagt, du ignorierst ihn.
-Und du?
-Ich habe gesagt, ich weiss von nichts und er schrieb einfach «okay». – Was habt ihr denn, ihr zwei?
-Ach, es ist wegen des Weekends. Einfach scheisse gelaufen, irgendwie.
-Ja?
-Er hatte ja Koks dabei.
-Und? – Habt ihr?
-Nur er.
-Das hab’ ich gar nicht mitbekommen.
-Ihr wart schon schlafen gegangen. – Hey, du hast da was.
-Wo?
-Unter der Augenbraue. Warte.
-Schon weg?
-Ja, es war nur Mascara.
-Danke. Wie ging’s weiter?
-Also eben, wir haben vor dem Kaminfeuer geredet. – Und irgendwann hat er mich geküsst.
-Süss.
-Aber, du weisst ja, an jenem Abend war ich ziemlich voll.
-Ja – und?
-Eigentlich wollte ich ein bisschen kuscheln und dann schlafen. Das Problem ist, dass Chris plötzlich extrem horny war. Und dann ist es halt passiert. Weisst du, wären wir beide nüchtern gewesen, dann wäre es völlig okay.
-Warum hast du nicht nein gesagt?
-Ich hatte ihn ja schon ziemlich lange gemocht – und eben, ich dachte, es würde schön sein. Halt spontan und schön. Aber es war schnell, schwitzig und unsexy.
-Und jetzt? Wie geht es dir damit?
-Ich bin okay, er hat am Montag angerufen. Was den Sex angeht, hat er sich entschuldigt, aber die Sache mit dem Koks schien ihn gar nicht zu stören. Er sagte sogar, er sei froh, dass er Koks dabeigehabt habe. Sonst hätte er sich nicht getraut mit mir zu reden und alles andere schon gar nicht.
-Will er denn jedes Mal, bevor ihr euch seht, ein paar Lines ziehen, oder was? Das ist ja lächerlich.
-Weiss auch nicht. Er ist so nett, und jetzt kommt das. Ich finde es seltsam, dass er es ohne Koks nicht schafft.
-Allerdings. Also gut, beim Koksen bist du auf einmal sehr offen. Also, offener als normalerweise. Das ist natürlich sehr attraktiv. Aber das bist nicht mehr du. Blöd gesagt, hat dich nicht Chris geküsst, sondern seine Koksversion.
-Seine Koksversion, so ein Scheiss. Er tut mir sogar leid. Wie kann man sich so unsicher fühlen, dass man so ein sozialisierendes Doping braucht.
-Es enthemmt. Genau wie Alkohol. Da sind wir nicht viel besser.
-Aber wir trinken nicht, um mit Jungs «reden» zu können. Wir trinken, um uns zu entspannen. Das ist nicht dasselbe.
-Ich weiss nicht, ob ich einverstanden bin.
-Für mich ist der Unterschied klar. Wir haben es nicht einfach. Schule, Arbeit, Beziehungen. Wir wissen aber, wie man mit anderen Leuten redet, auch ohne sich zu betrinken. Beim Alkohol vergisst man halt für einen Abend all diese Dinge, die einem Energie rauben. Wir werden relaxed beim Trinken. Aber Chris hätte das Gespräch mit mir nicht anfangen können, ohne gekokst zu haben. Er hat also eine Grenze in sich, die er ohne Doping nicht überschreiten kann. Verstehst du, was ich meine?
-Ja, aber du beschreibst nur diese konkrete Situation. Beim Koks vergisst du ja auch alles für ein paar Stunden. In beiden Fällen bist du viel entspannter, weil du an deine Probleme nicht mehr denkst. Und was machen wir jetzt damit?
-Keine Ahnung. – Fertig schminken, und los geht’s.
-Also ist die Geschichte mit Chris fertig erzählt?
-Ach so, nein. – Am Telefon habe ich ihn gefragt, ob er damit nicht aufhören könne. Aber er sagt, er hat es im Griff.
-Toll – man sieht es ihm an! – Woher hat er überhaupt das Geld dafür? Er hat ja keinen Nebenjob.
-Ist so. Ich hoffe, er macht nichts Illegales.
-Same. Aber es ist schon krank.
-Allerdings.
-Soll ich mit ihm reden?
-Es bringt nichts. Ich denke, er muss selber den Ausweg finden.
-Ein bisschen Hilfe könnte er aber brauchen.
-Tu, was du für richtig hältst. Für mich ist die Sache abgeschlossen.
-Na gut. Also, heute Absturz?
-Ja, bitte.