Sabine

Von Hannah Hermann


Also, ich habe ein Teilzeitkind. Mit Teilzeit meine ich, dass ich vier Stunden die Woche ein Kleinkind versorge, das noch nicht mal meine DNS besitzt. Und das alles nur, um die Liebe meines Lebens, mein Lebenselixier, finanziell zu unterstützen: Amazon. Meine neuste Entdeckung sind kleine Pinguinfiguren zum Aufziehen. Mittlerweile kann ich 50 solcher Pinguine mein Eigen nennen. Damit die kleinen Racker auch etwas Abwechslung bekommen, unternehmen wir regelmässig Ausflüge. Letztens sind wir alle durch den Zoo gewatschelt, so konnten sie ihre Verwandten besuchen.
Manchmal frage ich mich, wieso mir Sabines Eltern ihr Kind anvertrauen. Wobei: Bis jetzt bin ich sehr vertrauenswürdig; keiner meiner unzähligen Pinguine ist abhandengekommen. Und Sabine stand nach zwei Stunden auch wieder vor dem Supermarkt, wo ich ihr einen Keks in die Hand gedrückt hatte, damit ich in Ruhe einkaufen gehen konnte.
Immer wieder stellt sich mir die Frage, wie man sein dreijähriges Kind Sabine nennen kann. Bei dem Namen kommt mir nicht ein Kind mit kleinen blonden Löckchen in den Sinn, sondern eine Mittvierzigerin mit diesen komischen schwarzen Strähnen in den kurzen Haaren, die sie wie ein Stinktier aussehen lassen.
Sabines T-Shirts sind stets in «trendy» Neonfarben gehalten und meist prangt darauf ein Spruch, den Sabine nicht versteht. «Don’t call it a dream, call it a plan». Ich muss kotzen, aber da dieser Spruch so wunderbar positiv ist, kommen nur Regenbögen heraus.
Im Flur von Sabines Eltern denke ich beim Betrachten der Familienfotos, dass sich meine Vorhersagen, wie das Kind einmal werden wird in der Zukunft bestätigen werden. Schliesslich lacht mir genau so eine Sabine aus den Fotos entgegen.
Beim Versuch der Eltern, sich zu verabschieden, werden Küsschen an das Kind verteilt, das lieber Fusseln aus der Ecke degustiert.
Ich folge Sabine in ihr Zimmer. Bei der gewählten Wandfarbe könnte man meinen, die Eltern hätten einen Org erwartet. Sabine stört die Farbe nicht, denn so kann sie seelenruhig und unbemerkt ihre Popel an die Wand schmieren.
«Willst du mein Haustier sehen?»
«Klar zeig mal.»
Ich schaue etwas überrascht, als Sabine eine kleine Schachtel von einem Regal nimmt. Sind die heutigen Katzen oder Hunde neuerdings auf Minimum gezüchtet? Doch dann erklärt sich alles. Sabine öffnet die Schachtel und holt eine tote Fliege heraus.
«Das ist Klaus.»
Ich muss ein Lachen unterdrücken und greife nach einem der dünnen Beinchen.
«Freut mich sehr Klaus.»
«Klaus mag dich, er möchte dir einen Kuss geben.»
«Oh nein, nein, ist schon gut. ich glaube ni…»
Doch da drückt sie mir schon Klaus in den Mund. Ich kann ihn gar nicht so schnell ausspucken, wie er zerbröselt.
Noch leicht verstört von diesem Vorfall und definitiv mit Resten von Klaus im Mund, begeben wir uns in die Küche.
Es gibt Spaghetti, ohne Sosse, aber mit Senf. Sabines Eltern hatten das Essen netterweise schon vorbereitet, mich jedoch gebeten, etwas Eigenes zu Essen mitzubringen. Mich wundert nichts mehr. Merkwürdiges Kind, merkwürdige Kombi. 20 Minuten später ist die halbe Küche neu gestrichen. Beim Fertigmachen fürs Bett finde ich noch eine Nudel hinter Sabines Ohr.
Endlich liegt das Kind im Bett und ich quetsche mich zu ihr, um ihr etwas vorzulesen. Als Bettlektüre schauen wir uns einen Katalog über verschiedene Autoreifen an. Auf Seite 34 ist Sabine endlich eingeschlafen
Als ich den Schlüssel in der Haustür umdrehe, höre ich schon die Stimme des Sprechers der Naturdokumentation. «Der Pinguin gilt als eines der treusten und monogamsten Tiere. Ein Kieselstein gilt oft als Liebeserklärung …»
Ich betrete das Wohnzimmer und da sehe ich alle so, wie ich sie zurückgelassen habe. Meine kleinen Pinguine haben artig auf mich gewartet und noch nicht einmal die Süssigkeiten angerührt, die ich ihnen hingestellt hatte. Nun ist es aber Zeit für uns alle, ins Bett zu gehen. Schliesslich ist es schon spät und der nächste Ausflug wartet auf uns.