Unerwartete Begegnung

Von Laura Bacilieri

Es roch nach geschmortem Fleisch. Glühend heiss schien die Luft. Kniend flehte er die Sonne an, die wenige Flüssigkeit in seinem Körper zu behalten. Doch die Sonne hatte kein Erbarmen mit ihm.

Stefan und sein Freund hatten ihre heimliche Liebe offenbart, indem sie Händchen haltend zum Gottesdienst erschienen waren. Sie hatten einige finstere Blicke kassiert. Anschliessend mussten sie ein Gespräch mit einer der Vorsitzenden führen. Sie wurden ermahnt, dass man solche homosexuellen Beziehungen in ihrer Gemeinschaft nicht akzeptierte. Würden sie ihre Beziehung nicht schleunigst beenden, würde man sie in der Gemeinschaft nicht mehr dulden. Doch Stefan und sein Freund hatten weiterhin versucht, sich heimlich zu treffen.

Stefan suchte in der öden Landschaft schon seit geraumer Zeit nach ein wenig Schatten. – Er kannte seinen Mörder nur von vereinzelten Kirchengemeindetreffen. Er wusste nicht mal seinen Namen. Den Namen seines Mörders nicht zu kennen, war ein frustrierendes Gefühl. Wenn er über die Kirchenmitglieder nachdachte, war es nicht anders. Denn sie hatten ihn zur Hölle gewünscht. Aber heuchlerisch, wie sie waren, nur hinter vorgehaltener Hand. Der Mörder war ein Erfüllungsgehilfe für die Bewahrung ihrer moralischen Grundsätze gewesen!
Stefan blieb abrupt stehen. Heuchlerisch hatte er sie genannt, die Gläubigen. Und seine Wut, nicht nur auf den Mörder, war berechtigt. Aber er durfte sich nicht von seinen Gefühlen mitreissen lassen. Dafür war er sich zu schade. – Bevor er weiterdenken konnte, tauchte aus dem Nichts eine Gestalt vor ihm auf.
Der Teufel war kein Mann mit kleinen roten Hörnern, schon sein Atem war genug, um einen seiner schieren Macht bewusst werden zu lassen. Das fratzenhafte Schemen brummelte kaum verständlich: «Neuling! – Meine Zeit ist begrenzt. Was hast du zu sagen?»
Eine Welle der ungreifbaren, nicht in Worte zu fassenden Überforderung überkam ihn. Was sollte er jetzt tun? Angst und Panik überschwemmten seine Gedanken. Mit schwitzigen Händen begann er zu sprechen: «Homosexuelles Verhalten.» Er hatte schon immer Probleme mit Augenkontakt gehabt, jetzt jedoch zwang er sich, dem Teufel ins Gesicht zu blicken. Ein Loch, das ihn zu verschlingen drohte, blickte zurück. Der Teufel schwieg, zog die Brauen hoch. Ein Schweigen, das er nicht zu deuten wusste. Stefan war eine willensstarke Persönlichkeit, sonst hätte er keine Beziehung mit seinem Freund begonnen. Er hatte einen gewissen Trotz gegen sein Umfeld und dessen Reaktion auf sein Benehmen entwickelt. Er hatte schon öfter darüber nachgedacht, sich nicht mehr zu verstecken und sich offen mit seinem Freund zu zeigen, zu seiner Homosexualität zu stehen. Doch die drohenden Konsequenzen hatten ihn lange davon abgehalten. Jetzt aber gab es keine Konsequenzen mehr, die er fürchten musste.
«Heuchlerisch, nicht?» Zaghaft sprach er die Worte aus. «Wenn Christen einem den Tod wüschen, weil man in homosexuellen Aktivitäten interagiert, verstossen sie gegen das Gebot der Nächstenliebe!» Er geriet in Rage. «Und einer von ihnen ging sogar so weit, mich umzubringen. Was für ein Verstoss gegen eines der heiligen Gebote. Wenn der Kerl nicht in der Hölle schmoren wird, dann habe ich jede Menge Einwände!»
«Das entscheidet Gott», antwortete der Teufel. – «Wenn es ihn gibt.»
«Wie meinst du das?»
«Ich meine, was wäre, wenn alle Götter und Teufel erfunden sind? – Ein Gott jedenfalls, der diesen Namen verdient, lässt sich nicht von Narzissmus leiten. Und kein Gott irrt sich. Warum ist Gott gegen Homosexualität, aber erschafft Tiere, welche diese praktizieren? Tiere haben keine Seele. Sie müssen nicht der Begierde widerstehen, um in den Himmel zu kommen. Verstehst du? Das würde bedeuten, das Gott Homosexualität als keine Begierde wahrnimmt. Also nicht als ein Vergehen, da man der Begierde nicht widerstehen muss. Das würde bedeuten, das Gott Sexualität zwischen gleichgeschlechtlichen Lebewesen, und dazu gehört auch der Mensch, nicht als Begierde versteht. Also auch nicht als ein Vergehen, das bestraft werden muss. – Du zweifelst? Du denkst, dass die Gemeinde vielleicht doch Recht hatte? Dann würden sich Himmel und Hölle nur durch ihren Standort unterscheiden.»
Stefan stand mit offenem Mund da. Zu viele Informationen auf einmal. Zu heiss die Aussentemperatur. Aber der Teufel hatte seine Rede noch nicht beendet. «Alle, die hierherkommen, fragen, was gerecht ist, ob er oder sie zurecht hier ist. Eine überflüssige Frage. Was nämlich, wenn ich dir sage, dass die Hölle – und somit auch ich – nur deiner eigenen Wahrnehmung entsprungen ist? Dass sie ein Ort ist, den du dir selbst geschaffen hast, um deine Ängste und Zweifel zu projizieren? Um deiner antrainierten Idee, deine Taten seien ein Vergehen gewesen, gerecht zu werden und dich dafür zu bestrafen? Ich habe dir deine tiefsten Gedanken offenbart. Denk darüber nach. Denn ich bin der Spiegel deiner selbst.»
Der Teufel verschwand so schnell, wie er gekommen war. Stefan schaute ihm nach, dann wandte er den Blick in den Himmel. Glühend heiss war die Luft. Kniend flehte er die Sonne an, die wenige Flüssigkeit in seinem Körper behalten zu dürfen.